4 - Fragile Parallelitäten. Neoliberalismus, Gewalt und Marginalitäten im lateinamerikanischen Gegenwartskino [ID:7084]
50 von 715 angezeigt

Vielen Dank für die freundliche Einladung nach Erlangen. Vielen Dank auch fürs Dasein bei diesem

unchristlichen Wetter und ich hoffe, dass ich Ihnen das näher bringen kann, was das Nachdenken

über parallel und alternativ Gesellschaften in Lateinamerika angeht, was für mich sozusagen

auch neu war, als die Erlanger auf mich zukamen, irgendwie mit dieser Einladung darüber nachzudenken.

Ich glaube, alles, was jetzt heute kommt, ist noch nicht ganz abgehangen und alter Stoff,

sondern eher etwas, was eigentlich erst kürzlich entwickelt wurde. Aber ja, ich hoffe,

ein paar Punkte werden da deutlich. Ich möchte gerne anfangen mit einer Einführung zur allgemeinen

Überlegung, inwiefern man den Begriff parallel und alternativ Gesellschaften in Lateinamerika

eigentlich sinnvoll anbringen kann oder nicht und im weiteren Verlauf dann erst mal auch noch

einiges vorschalten zur allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung auf diesem Subkontinent im 20. Jahrhundert.

Ja, ich fange einfach mal an. Am Anfang der Überlegung zu diesem Vortrag stand die Frage,

inwiefern das soziologische Phänomen einer parallel- oder alternativ Gesellschaft für den

Fall der lateinamerikanischen Gesellschaften überhaupt zu erfassen sei. Denn so stellt es sich

schnell heraus, weder im politischen Diskurs noch in der soziologischen Terminologie existiert in

Lateinamerika eine auch nur ansatzweise konsolidierte und konzeptualisierte Form dieses

in gegenwärtigen europäischen Debatten so geläufigen Konstrukts. Stattdessen dominieren

vor allem in soziologischer Forschungsliteratur zu Phänomenen gesellschaftlicher Polarisierung

Begriffe wie Segregation oder Marginalisierung. Diesen ist im Unterschied zu dem stark

kulturalistisch aufgeladenen europäischen Diskurskonstrukt der Parallelgesellschaft eine

sehr viel stärker auf sozioökonomische Faktoren bedachte Fokussierung zu eignen, was insofern kaum

überraschend dürfte, als der lateinamerikanische Subkontinent auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts

noch immer die Weltregion mit dem höchsten Grad an Ungleichheit ist, was die innergesellschaftliche

Verteilung von ökonomischem Reichtum anbelangt. Auch wenn bei diesem Phänomen in den jeweiligen

Gesellschaften zweifellos ethnische und kulturelle Faktoren in unterschiedlichen Ausprägungen eine

Rolle spielen scheint die Tatsache des prinzipiell hohen Heterogenitätsgrades der lateinamerikanischen

Gesellschaften eine Übertragung der europäischen Vorstellung von einer eingesessenen Mehrheitsgesellschaft

und einer sich von ihr durch kulturelle, religiöse oder sprachliche Abweichung konstituierenden

Parallelwelt erheblich zu erschweren. Die erste Hypothese für die folgenden Überlegungen ließe

sich daher zunächst wie folgt zusammenfassen. Statt den in den europäischen Debatten dominierenden

kulturellen Parametern Sprache, Religion, Kultur einer stets unter Abgrenzungsverdacht

stehenden Parallelgesellschaft verlaufen gesellschaftliche Polarisierung in Lateinamerika

sehr viel stärker auf der Ebene sozioökonomischer Ungleichheit. Wenn also der Begriff der

Parallelgesellschaft für Lateinamerika als solcher offensichtlich kaum übertragungsfähig scheint,

so entfaltet das Konzept einer Alternativgesellschaft im Sinne utopisch aufgeladener

Vorstellungen einer anderen beziehungsweise neuen Welt eine ungleich größere Produktivität oder

um es mit Boccesno und Santos zu formulieren. What is the history of Latin America but the chronicle

of the utopian impulse? So war Amerika als die neue Welt wie etwa Todorow in seiner Conquete de

l'Amérique gezeigt hat, vom Beginn der europäischen Expansionsbewegung an eingebettet in ein ganzes

Netz utopischer Vorstellungen und Zuschreibung, welche allerdings und schon die Lektüre von

Columbus Board Tagebuch gibt uns darüber Auskunft, gleichfalls immer schon primär von ökonomischen

Motiven unterwandert war. Die ursprüngliche Motivation von Columbus denkt über die Entdeckung

beziehungsweise Ausbeutung Lateinamerikas Ressourcen zu generieren für einen neuen Kreuzzug nach

Jerusalem. Diese Geschichte der Utopien als konstante politische Reflexion und Aktion in

Lateinamerika lässt sich weiter verfolgen über die Weltentwürfe der indigenen Chronisten,

die Unabhängigkeit und Einigungsprojekte des 19. Jahrhunderts bis hin zu dem, was einen wichtigen

Ausgangspunkt des heutigen Vortrags bilden und aus dem allgemeinen historischen Nahhorizont der

Geschichte zumindest ansatzweise noch vertraut ist. Die Rede ist von dem im Umfeld der kubanischen

Revolution von 1959 sich überall auf dem Kontinent etablierenden linken Bewegungen und Theorien,

welche ihrerseits in vielfältigen Ausprägungen von einer anderen Gesellschaft beziehungsweise

dem Ombre nuevo träumten. Die Betrachtung dieser politischen Entwicklung zwischen 1950 und 1975,

Presenters

Dr. Benjamin Loy Dr. Benjamin Loy

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

01:19:09 Min

Aufnahmedatum

2016-11-29

Hochgeladen am

2016-12-03 17:26:21

Sprache

de-DE

Tags

Lateinamerika Heli Amores Perros Zerfallsprozesse Mexiko
Einbetten
Wordpress FAU Plugin
iFrame
Teilen